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Meine Heimat im Holocaust

Die Gegend, in der ich geboren und aufgewachsen bin, ist Ostfriesland. Und um diese Gegend, besser: um meinen Blick auf Ostfriesland und seine Bewohner, geht es in diesem Blog.

Ostfriesland scheint ein bisschen den Ruf zu haben, dass seine Einwohner ein bisschen skuril bis eigensinnig sind. Nicht so ganz ernst zu nehmen. Die Zielscheibe der bekannten Ostfriesenwitze halt. Aber alles auf eine irgendwie liebenswerte Art und Weise. Und so habe ich die Menschen in meiner alten Heimat auch betrachtet.

Dabei war dieser Blick bezüglich der Geschehnisse während des Holocaust  in einem besonderen Maße verklärt, denn ich konnte alles und jeden nur mit den Augen eines Kindes sehen. Obwohl mein Großvater bei der SS war und hinter der Nazi-Ideologie stand, waren er und alle anderen Menschen von damals, in meinen Augen irgendwie unschuldig geblieben. Die Tatsache, dass Juden auch in Ostfriesland schreckliche Dinge erlebt haben, war zwar in meinem Verstand angekommen, aber nicht in meinem Herzen.

Dies änderte sich innerhalb von 30 Minuten grundlegend, als ich eine Dokumentation über Albrecht Weinberg, einem der letzten Holocaust-Überlebenden, gesehen habe. Herr Weinberg war in dem Teil von Ostfriesland geboren und aufgewachsen, in dem auch ich geboren und aufgewachsen bin. Und im den Herr Weinberg im Jahre 2012 wieder zurückgekehrt ist.

Als ich in dieser Dokumentation sah, wie dieses reale Zeugnis des Holocausts als Teil und in Mitten meiner „unschuldigen“ Heimat auftauchte, da zerfiel die rosarote Brille in Scherben zu Boden. Insbesondere da, als ich hörte, dass es nicht weit von meinem Heimatdorf eine einstige Hochburg von Antisemititen gab, die sich wiederholt in lautstark tönenden Gruppen auf einem Adolf-Hitler-Platz zusammengetan haben. Und, dass sich in Ostfriesland nicht ein einziger Jude verstecken konnte.

In diesen Momenten wurde mir ein wichtiger Unterschied tief in meinem Herzen bewusst: Es ist das eine zu wissen, dass Juden in Ostfriesland schreckliche Dinge erlebt haben. Aber etwas ganz anderes, zu fühlen, dass die Großeltern der Menschen, mit denen ich aufgewachsen bin, den Juden in ihrem Dorf, schreckliche Dinge angetan haben und niemand von ihnen zu Hilfe gekommen ist. Und dass meine eigenen Großeltern dazu gehörten.

Zu diesen Gefühlen gehörte zunächst der Zorn darüber, von den Menschen in meinem Dorf, in meinem Landkreis und in ganz Ostfriesland betrogen worden zu sein. Nicht alleine deswegen, dass niemand auch nur ein Wort darüber verloren hat, was für schreckliche Dinge die einstigen Bewohner getan haben. Sondern vor allem deswegen, dass bis heute das Image der liebenswerten, harmlosen und skurilen Eigenbrödler gepflegt wird. Selbst gegenüber den eigenen Kindern.

Dieser Zorn ist mittlerweile leiser geworden, vermischt mit viel Traurigkeit darüber, welch riesiges Leid in dieser Zeit verursacht wurde, das noch bis heute nachwirkt.

Aber dieser neue Zustand ist mir bei weitem lieber, als mein vorheriges Leben als Kind, dass die bittere Wahrheit noch nicht vertragen konnte, und deshalb an eine falsche Unschuld glaubte.

Meine Heimat im Holocaust

Die Gegend, in der ich geboren und aufgewachsen bin, ist Ostfriesland. Und um diese Gegend, besser: um meinen Blick auf Ostfriesland und seine Bewohner, geht es in diesem Blog.

Ostfriesland scheint ein bisschen den Ruf zu haben, dass seine Einwohner ein bisschen skuril bis eigensinnig sind. Nicht so ganz ernst zu nehmen. Die Zielscheibe der bekannten Ostfriesenwitze halt. Aber alles auf eine irgendwie liebenswerte Art und Weise. Und so habe ich die Menschen in meiner alten Heimat auch betrachtet.

Dabei war dieser Blick bezüglich der Geschehnisse während des Holocaust  in einem besonderen Maße verklärt, denn ich konnte alles und jeden nur mit den Augen eines Kindes sehen. Obwohl mein Großvater bei der SS war und hinter der Nazi-Ideologie stand, waren er und alle anderen Menschen von damals, in meinen Augen irgendwie unschuldig geblieben. Die Tatsache, dass Juden auch in Ostfriesland schreckliche Dinge erlebt haben, war zwar in meinem Verstand angekommen, aber nicht in meinem Herzen.

Dies änderte sich innerhalb von 30 Minuten grundlegend, als ich eine Dokumentation über Albrecht Weinberg, einem der letzten Holocaust-Überlebenden, gesehen habe. Herr Weinberg war in dem Teil von Ostfriesland geboren und aufgewachsen, in dem auch ich geboren und aufgewachsen bin. Und im den Herr Weinberg im Jahre 2012 wieder zurückgekehrt ist.

Als ich in dieser Dokumentation sah, wie dieses reale Zeugnis des Holocausts als Teil und in Mitten meiner „unschuldigen“ Heimat auftauchte, da zerfiel die rosarote Brille in Scherben zu Boden. Insbesondere da, als ich hörte, dass es nicht weit von meinem Heimatdorf eine einstige Hochburg von Antisemititen gab, die sich wiederholt in lautstark tönenden Gruppen auf einem Adolf-Hitler-Platz zusammengetan haben. Und, dass sich in Ostfriesland nicht ein einziger Jude verstecken konnte.

In diesen Momenten wurde mir ein wichtiger Unterschied tief in meinem Herzen bewusst: Es ist das eine zu wissen, dass Juden in Ostfriesland schreckliche Dinge erlebt haben. Aber etwas ganz anderes, zu fühlen, dass die Großeltern der Menschen, mit denen ich aufgewachsen bin, den Juden in ihrem Dorf, schreckliche Dinge angetan haben und niemand von ihnen zu Hilfe gekommen ist. Und dass meine eigenen Großeltern dazu gehörten.

Zu diesen Gefühlen gehörte zunächst der Zorn darüber, von den Menschen in meinem Dorf, in meinem Landkreis und in ganz Ostfriesland betrogen worden zu sein. Nicht alleine deswegen, dass niemand auch nur ein Wort darüber verloren hat, was für schreckliche Dinge die einstigen Bewohner getan haben. Sondern vor allem deswegen, dass bis heute das Image der liebenswerten, harmlosen und skurilen Eigenbrödler gepflegt wird. Selbst gegenüber den eigenen Kindern.

Dieser Zorn ist mittlerweile leiser geworden, vermischt mit viel Traurigkeit darüber, welch riesiges Leid in dieser Zeit verursacht wurde, das noch bis heute nachwirkt.

Aber dieser neue Zustand ist mir bei weitem lieber, als mein vorheriges Leben als Kind, dass die bittere Wahrheit noch nicht vertragen konnte, und deshalb an eine falsche Unschuld glaubte.